Das verschwundene Forsthaus im Isenachtal


Im frühsten Mittelalter, als das Land noch wild und verwunschen war, gab es im Isenachtal einen großen See, an dessen Ufer ein kleines Forsthaus stand. Dort lebte ein junger Jagdmeister im Dienste der Äbte zu Kloster Limburg. Treu und gewissenhaft verwaltete er das anvertraute Lehen, aber nur allzu oft fühlte er sich doch recht einsam.

Isenachweiher  © ds (IPP)

Eines Morgens, als die letzten Nachtnebel über dem Isenachsee aufstiegen, hörte der junge Jagdmeister einen wunderbar lieblichen Gesang. Dieser schien von einer kleinen Insel in der Mitte des Sees zu kommen, auf der zwei mächtige Schwarzerlen wuchsen. Gebannt hörte der junge Mann zu und wagte nicht mit seinem Nachen überzusetzen. In der Nacht darauf, als ein heftiges Gewitter über dem Tale stand, erschien ein bildschönes Mädchen an der Tür des Forsthauses und bat um Obdach. Der junge Jagdmeister nahm sie freundlich auf. Beide fanden einander Wohlgefallen und nur wenig später wurden dem Liebespaar zwei Kinder geboren.

Isenachweiher  © ds (IPP)

Jedoch wollte die junge Frau weder den Bund der Ehe vor Gott eingehen, noch wollte sie die Kinder taufen lassen. Also ließ sie den Geliebten schwören, dies, um ihrer Liebe willen zu achten, denn sonst müsse sie ihn für immer verlassen. Als jedoch die Äbte des Klosters Limburg von dem Verhältnis erfuhren und das strikte Befolgen der christlichen Lehre forderten, da ließ der Jagdmeister heimlich des Nachts einen Priester holen. Wenigstens die Seelen seiner über alles geliebten Kinder wollte er vor der ewigen Verdammnis retten.
Die Frau war, wie so oft auf die kleine Insel des Isenachsees gerudert, um heilende Kräuter zu sammeln. Als sie bei ihrer Rückkehr den Priester sah, der im Begriff war die heiligen Sakramente der Taufe zu vollziehen, geriet sie in Zorn und Verzweiflung. Sie belegte ihren Geliebten und den Priester mit einem Bann, setzte die Kinder in ihren Nachen und ruderte mit ihnen zur Insel hinüber. Dort angekommen, wandte sie sich dem Forsthaus zu und hob unter Tränen zu singen an. Ein gewaltiges Brausen und Grollen erfüllten das Tal. Die Wasser des Isenachsees schwollen an, traten über die Ufer und rissen alles mit sich fort. Selbst die kleine Insel versank in einem tosenden Strudel. Am Morgen danach war das Forsthaus, der Priester, ja sogar der große See verschwunden. Nur der Jagdmeister fand sich mit gebrochenen Herzen auf einer mit Binsen und Gestrüpp bewachsenen Waldlichtung wieder.
Daher glaubten die Leute, dass die Frau eine mächtige Wasserfee gewesen war, die nach dem Verrat an ihrer Liebe die Welt verließ und mit den Kindern in ihr unterirdisches Reich zurückkehrte. Einige berichteten auch von einem wilden einsamen Mann, der im Isenachtal stumm am Rand des Weihers stehe und sehnsüchtig auf das Wasser blicke. Andere wiederum erzählten, dass sich die beiden Liebenden nach langer Zeit wieder versöhnt hätten und fortan glücklich vereint mit ihren Kindern und Kindeskindern im Feenreich leben würden.

Gedenkstein „Matternhütte“ Isenachtal  © ds (IPP)

Jahrhunderte später, als die Sage des verschwundenen Forsthauses im Isenachtal im Volk vergessen war, wurde an der gleichen Stelle ein neues Forsthaus, die Matternhütte, errichtet. Heute erinnert ein gravierter Felsbrocken daran.

Februar 2021 (ds)